Sagen & Mythen
Der Wilderer von der Papiermühle in Wied
In der Zeit des 1. Weltkrieges lebte in dem kleinen Fachwerkhaus ostwärts der Papiermühle ein alter Papiermacher mit seiner Frau. Beide stammten aus Kleinschmalkalden in Thüringen. Man hatte ihn angeworben weil er ein Spezialist in seinem Handwerk war.
Die Kriegswirren brachten es mit sich, dass seine angeborene Leidenschaft, die Wilddieberei wieder in ihm aufstieg. In der Abenddämmerung verließ er mit russgeschwärztem Gesicht, den alten Schäferhut tief ins Gesicht gezogen, durch die kleine Hintertür sein Haus. In der weiten Lodenkotze war er nicht mehr zu erkennen. Über einen schmalen Pfad in dicht bewachsenem Strauchwerk gelangte er zu den drei alten Randfichten unweit des Mühlengrabens. Er zog sich an den schweren Randästen der mittleren Fichte hoch und kletterte Richtung Baumspitze . In der Höhe wo die Äste ihn noch trugen löste er den Strick von dem in Segeltuch eingewickelten Karabiner, der am Baumstamm befestigt war. Es handelt sich um einen Militärkarabiner Mauser Modell 98.
Er schulterte das Gewehr und stieg ab. Er pirschte entlang des Mühlengrabens jeden Baum und Strauch nutzend durch das Tal in Richtung Steinebach. Unter gutem Wind pirschte er sich an das Wild heran. Wenn die Nahrung knapp wurde, erlegte er ein schwaches Reh oder einen Hasen.
Durch einen Schuss und den Aufbruch eines Rehes, den der Hund des Försters anzeigte, stand fest, dass hier gewildert wurde. Der Verdacht, dass der Papiermacher wildert ließ sich trotz allen Anstrengungen des Försters und Forstgehilfen nicht beweisen. Man durchsuchte mit dem Gendarmen das Haus des Papiermachers, ohne Ergebnis. Der Forstgehilfe gab nicht auf den Wilddieb zu jagen. Alle waren sich sicher, dass nur der Papiermacher der gesuchte Wilddieb sein konnte. Der Förster ließ zwei Monate ins Land streichen und ordnete mit dem Gendarmen und dem Gehilfen eine neue Durchsuchung des Hauses an. Man durchsuchte das Haus vom Keller bis zum Dache und fand wieder nichts, was auf Wilddieberei hinführen konnte. Vor dem Fachwerkhaus wollten Förster und Gendarm sich verabschieden. Da kam dem Förster plötzlich der Gedanke mit seinem Hund das ganze Haus nochmal zu durchsuchen. Erst die Wohnung, dann den Speicher: Nichts. Alle Hoffnung war dahin. Doch noch den Keller? Ja. Der Hund wurde geschnallt. Er rannte die Kellerstiege hinab und gab stark Laut von sich, sprang an das Regal mit den Einweckgläsern. Ein Glas zersprang auf dem Boden, das von der Frau eingeweckte Rehfleisch lies er sich schmecken. So wurde der Wilddieb überführt. Leider konnte der Wilderer nicht verhaftet werden für seine Taten, er beobachtete das Geschehen in seinem Haus aus sicherer Entfernung. Noch in der gleichen Nacht brach er zu Fuß mit seiner Frau auf, durch den Wald am Josefstein vorbei in Richtung Kleinschmalkalden.
Vielen Dank an G. Hillebrand für diese Sage.